Reden

Rede zu den Spaziergängen in der Stadtverordnetenversammlung am 31.01.2022


Nun erlauben Sie mir noch eine Stellungnahme zu den „Spaziergängen“, die seit Anfang diesen Jahres auch in Kelsterbach als Protest gegen die geltenden Regeln zur Eindämmung des Coronavirus stattfinden, sowie zu der Erklärung für Offenheit, Respekt und Solidarität, die im Original auf eine Initiative des Main-Kinzig-Kreises zurückgeht und die nun auch im Kreis Groß-Gerau und in Kelsterbach von vielen Personen schon mitgetragen wird.

Bürgermeister Manfred Ockel und ich haben uns vergangene Woche selbst ein Bild von diesen „Spaziergängen“ gemacht und auch wenn die Teilnehmer sich hierbei friedlich verhielten, muss man doch festhalten, sie hielten sich nicht an die geltenden Abstands- und Hygieneregeln. Auch nach mehrmaliger Aufforderung durch die zuständige Ordnungsbehörde der Stadt weigerte sich die Mehrheit eine Maske zu tragen und den Abstand einzuhalten.

 

 

Ja, wir sind momentan und dass leider schon seit nunmehr zwei Jahren in einer Ausnahmesituation, die uns als Gesellschaft herausfordert, wie kaum eine andere in den vergangenen Jahrzehnten. Diese Situation verlangt von uns immer wieder Anpassungen an sich verändernde Voraussetzungen. Sie ist ein beständiger Lernprozess für uns alle, auch für die Wissenschaftler, die sie erforschen, für die Politiker die Abwägen müssen bei Ihren Entscheidungen über Wohl und Wehe, und eben auch für uns als Gesellschaft, die wir liebgewonnene Gewohnheiten und soziales Leben einschränken müssen.

Und ich kenne niemanden, der sich nicht wünscht, diese Pandemie, diese außergewöhnliche Situation wäre nicht endlich vorüber und wir könnten in eine Art Normalität zurückkehren. Wobei dem ein oder anderen auch diese Situation fast schon zur Normalität geworden ist.

Im Zuge dieser Spaziergänge und der Diskussionen darum in den Sozialen Medien, wird gerne die Freiheit angeführt und dass es eine Meinungsdiktatur gebe, die andere Meinungen, Kritik und Protest unterbinden würde.

Meine Damen und Herren, Kritik und kritisches Hinterfragen von Entscheidungen der Regierenden, sind in einer Demokratie wie der unseren immer erlaubt, erwünscht und sogar notwendig.

Demokratie lebt von der Diskussion über den richtigen Weg, die richtigen Maßnahmen und schlussendlich einem Konsens über einen eingeschlagenen Weg.

Darin bilden die Corona-Pandemie und die dazugehörigen Maßnahmen keine Ausnahme. Kritik ist erlaubt und erwünscht und auch notwendig. Auch auf wissenschaftlicher und politischer Ebene wird ja über den richtigen Umgang gestritten. Also dürfen auch Bürgerinnen und Bürger Kritik äußern.

Aber, dass ganze muss innerhalb der festgelegten Rahmenbedingungen geschehen. Denn Freiheit funktioniert nur in einem gesellschaftlich festgelegten Wertekanon und dass ist in unserem Land unsere Verfassung, die da heißt, „Grundgesetz“. Grundgesetz, weil sie der Grund und Boden ist, auf dem unsere Demokratie, unsere Freiheit, unsere Gesellschaft aufbauen. Wenn wir das Grundgesetz aushöhlen, stürzt das alles ein. Und dort ist klar geregelt, dass Freiheit dort endet, wo die Freiheit des Anderen beginnt.

 

 

Wer sich also auf Artikel 2 und Artikel 5 GG bezieht, also die „freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ und das Recht „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“ der muss sich immer bewusst sein, das Art.2 nicht mit dem Wort Persönlichkeit endet, sondern fortgeführt wird mit „soweit er nicht die Rechte anderer verletzt … (und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetzt verstößt)“. Davon ist auch Art. 5 nicht ausgenommen. Freiheit braucht einen ordnenden Rahmen. Wer das nicht glaubt, stelle sich den Straßenverkehr ohne Regeln vor.

Viel beziehen sich bei Ihren Spaziergängen dann auch auf Artikel 8 des GG, „(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“, aber auch hier gibt es Einschränkungen,

„(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.“ Dazu gehört auch, dass man solche Versammlungen, die Protest gegen politische Entscheidungen sind, anzumelden hat.

 

Nur weil ich das ganze „Spaziergänge“ nenne, heißt das noch lange nicht, dass es keine Demonstration ist. Und dass geben Beteiligte und Sympathisanten ja auch offen zu. Etwa in einem Austausch unter einem Social-Media-Beitrag eines hiesigen Stadtverordneten. Da verwehrt man sich nämlich gegen das Wort „Aufmärsche“ und besteht darauf die Personengruppe als „Demonstranten“ zu bezeichnen, weil sie das ja seien. Dann aber, muss man auch dem Versammlungsrecht (VersammlG, Abschnitt III, §§14-20) entsprechend eine Demonstration anmelden und die städtischen Auflagen einhalten. Und in Zeiten von Corona auch die, bezüglich der Anzahl und der Abstands- und Hygieneregeln. Aber genau das will man ja grade nicht.

 

Ich kann mir das Grundgesetz und auch die anderen Gesetze aber nicht nur so auslegen, wie es mir passt, sondern muss es in seiner Gänze auch mit den Einschränkungen annehmen. Alles andere ist zumindest Rechtsbeugung oder auch Rechtsbruch.

 

Und zur Wahrheit gehört auch, dass eine gewichtige Mehrheit der Menschen in diesem Land die Maßnahmen und Einschränkungen für richtig und notwendig hält. Da kann keine auch noch so laute Minderheit dies ändern. Denn in einer Demokratie werden die Entscheidungen von den Mehrheiten beschlossen und getragen und schützen zugleich die Minderheiten. Dies heißt aber nicht, dass eine Minderheit der Mehrheit ihren Willen aufzwingen kann. Das wäre dann nämlich eine Diktatur.  

 

Und wer die Situation in Deutschland mit einer Diktatur vergleicht, den lade ich ein, mit Menschen zu sprechen, die die Nazidiktatur als Opfer überlebten, die auf Flucht vor Diktaturen überall in dieser Welt Schutz suchen in diesem Land, das Freiheit, Demokratie und Recht, auch der Kritiker, garantiert. Und dann erzählen Sie mir noch einmal etwas von Diktatur.

 

Und ein Letztes, eine Mehrheit in diesem Land besteht auf dem Recht auf körperliche Unversehrtheit nach Art.2 GG und nimmt dafür auch zeitlich auf die Dauer der Pandemie begrenzte Einschränkungen in Kauf. Das müssen die Kritiker und Spaziergänger am Ende auch akzeptieren und respektieren. Das ist nämlich keine Einbahnstraße für die „Spaziergänger“, nein, auch sie sind zu Respekt und Akzeptanz der anderen, ja der Mehrheitsmeinung verpflichtet.

 

Deswegen lade ich die Kritiker ein:

·        Kehren sie auf den Boden des Grundgesetzes zurück,

·        Üben Sie Kritik innerhalb des gesetzlichen Rahmens

·        Respektieren Sie die Entscheidungen einer Mehrheit der Menschen in diesem Land

 Und ergänzend, wie es auch in der Erklärung steht:

·        Hinterfragen Sie, mit wem sie da auf die Straße gehen, mit welchen Forderungen und auf welcher faktischen Grundlage

·        Halten Sie die Regeln ein, Demonstrationen anzumelden und verlassen Sie damit die Anonymität

·        Nehmen Sie eine kritische Distanz zu Einschüchterung, Hass, Hetze und Gewalt ein.

 

Denn wie gesagt, ja, Kritik ist erlaubt, gewünscht, notwendig, aber im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Und ich freue mich, wenn heute ein starkes Signal aus diesem Haus nach draußen dringt, indem wir alle diese Erklärung für Offenheit, Respekt und Solidarität unterschreiben.

Danke.

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